Rosskur für den Blätterwald

Shredder © Shawn Hempel - Fotolia.comTageszeitungen sind – frei nach Kaiser Wilhelm II. – die Pferdekutschen des 21. Jahrhunderts: Auf dem Land gibt es sie noch, aber die Konkurrenz ist schneller, billiger und bequemer. In Zukunft wird niemand mehr für Nachrichten bezahlen, die es an jeder Ecke kostenlos gibt. Deshalb rauschen die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften seit Jahren in den Keller. Und weil auch die Werbewirtschaft dank Internet und Social Media viel effektiver direkt mit ihren Kunden kommuniziert, werden den Medienmogulen von einst die Werbeeinnahmen entzogen.Die Frankfurter Rundschau ist eines der ersten Opfer, nicht das letzte: Ende November entscheidet Gruner & Jahr über den Fortbestand der Financial Times Deutschland, auch andere Wirtschaftstitel wie Capital oder Focus Money stehen unter Druck. Printmedien werden bald reine Liebhaberei sein und in Flugzeugen durchgeblättert, in denen der Internetempfang gestört ist. Das Sterben im Blätterwald wird erst aufhören, wenn die Verlage ihre Einnahmequellen radikal diversifizieren. Einen höheren Verkaufspreis oder eine Paywall für die Webseite können sich dabei nur wenige Flagship-Titel erlauben, die online wie offline zu den wichtigsten und meistgelesenen gehören, also FAZ, Spiegel oder Bild. Auch Special-Interest-Medien sind im Vorteil, weil sie ihren Zielgruppen hohen Mehrwert bieten und dadurch Einnahmen aus Verkauf und Anzeigen generieren.

Mittelklassemedien müssen vom hohen Ross und neu laufen lernen Die übrigen Verlagshäuser – die „mediale Mittelschicht“ – müssen sich völlig neu erfinden oder es droht ihr Untergang. Sie können weder ihre Verkaufspreise erhöhen, noch eine Paywall errichten, denn subventionierte Medien (Öffentlich-Rechtlich) und „vorjournalistische“ Angebote (Bürgerjournalismus, Blogs, Social Media) befriedigen alle informations- und Unterhaltungsbedürfnisse gratis und ziehen sofort den Strom der Besucher von kostenpflichtigen Inhalten ab. Es ist naiv zu glauben, ein Medium verfüge über so exklusive Inhalte, dass es eine Bezahlmauer errichten könnte. Es gibt immer einen “Spielverderber”, irgendwo auf der Welt, der die Nachricht gratis verbreitet. Und bei den meisten wirklich wichtigen Nachrichten reicht eine Schlagzeile. Die Medien der Mitte müssen weg vom Allroundangebot, die Lokalzeitung braucht keinen überregionalen Teil mehr und kein Vermischtes. Der schlanke Content muss einhergehen mit neuen und kreativen Einnahmequellen, auch wenn das journalistische Selbstverständnis dadurch ins Wanken gerät. Es gibt eine Reihe  zusätzlicher Erlösquellen auch jenseits der großen Onlinestrategie. Sicher, einige sind absolut „unsexy“, kleinteilig oder branchenfremd. Es lohnt aber trotzdem, ihren Einsatz zu probieren – eine kleine Auswahl…

Targeting/Recommandation: Jeder mit Facebook-Profil kennt das Prinzip: Ich gebe dir meine Daten und du schickst mir die passende Werbung. Nachrichtenmedien sollten ihre Inhalte verschenken und anstelle von Bannern Conversion gegen Provision verkaufen. Dabei käme ihnen zu Gute, dass sie die Interessen jedes Lesers aufzeichnen können. Das heißt aber auch: Aufrüsten der Webseiten mit intelligenten Targetingsystemen. Offline können Adressen von Abonnementen an Versandhändler oder Spendenorganisationen verliehen werden.

Live Events: Die Musikbranche hat bereits erfahren, wie YouTube und Onlineradios die Verkaufszahlen drücken und erhöhten entsprechend die Eintrittspreise für Konzerte. Professionell durchgeführte Veranstaltungen wie Messen, Talks oder Lesungen müssen konsequenter zu Einnahmequellen werden. Auch hier sind Kooperationen eine gute Möglichkeit, Einnahmen zu generieren. Ein Stadtmagazin, bei dem die Leser nach Tipps für die Abendgestaltung suchen, sollte zugleich die Eintrittskarten verkaufen (ggf. in Kooperation mit Kinoketten oder Theaterkassen) und an Gutscheinen von Groupon oder Dailydeal mitverdienen, die direkt neben den entsprechenden Gastroempfehlungen platziert sein sollten.

Merchandising: Medien werden zu Marken, zu Lifestyle-Produkten, mit denen man seine Persönlichkeit unterstreicht, etwa indem man bei Facebook ARTE liked (Mit ARTE schmückt man sich übrigens gern, denn die Zahl seiner „Likes“ steht in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Zuschauern!) Die Beliebtheit kann durch eine unendliche Auswahl passender Merchandising-Produkte monetarisiert werden. Auch technische Dienstleistungen (die ein Medium zusammen mit Partnern erbringt) können verkauft werden, zum Beispiel nicht nur ein elektronisches Zeitungsabo, sondern dazu auch das iPad und eine SIM-Karte mit Datentarif.

Upselling: Man kennt es von den Billigfliegern: Das Ticket ist fast kostenlos, aber dann kommen die optionalen Zusatzleistungen! Das Internet hat die Leute zu Schnäppchenjägern gemacht und Medien müssen nicht nur eine Seite bedienen und Nachrichten kostenlos verbreiten, sondern auch die profitable: Jeder Leser sollte vom kostenlosen Content zu einem Apparat von attraktiven Zusatzangeboten gelenkt werden, bei denen er kaum „Nein“ sagen kann, er muss jeden Tag aufs Neue verführt werden. Qualitätsblätter, die online gehen, können da von Kaufzeitungen eine Menge lernen – die Bild-Zeitung hat es mit ihren „Volks-Produkten“ vorgemacht. Medien sollten hier Kooperationen mit erfolgreichen Onlineshops suchen und zum jeweiligen Artikel passenden Content anbieten (siehe Targeting): handelt ein Artikel über das Bergsteigen, sollte entsprechende Outdoor-Kleidung und Schuhe angeboten werden.

Fundraising: taz-Leser kennen es nicht anders: Regelmäßig werden in Bettelkampagnen neue Abonnenten, Genossenschaftler oder Spender gesucht und auf der Webseite kann der Leser gelungene Artikel über das Spenden-App flattr honorieren. Die alternative Zeitung muss ohnehin fast ohne Werbung  auskommen und hat die Selbstausbeutung der Mitarbeiter trainiert, deshalb wird sie den Wandel auch überleben. Andere Medien sollten sich nach Förderstiftungen (wie die amerikanischen Pro Publica oder der Fund For Investigative Journalism), Mäzenen und Sponsoren umsehen, die bereit sind, journalistische Qualität zu fördern.

Der Medienforscher Mitchel Stephens prophezeit, dass 95% der US-Medien die Krise langfristig nicht überstehen werden. Auch die deutschen Verlage müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen: Keiner zahlt mehr für Nachrichten. Euer Pferd ist tot. Es ist Zeit, auf neue Erlösmodelle umzusatteln.

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